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Uns gehen die Lehrer aus …

„Lehrerbedarf durch Pensionierungen erreicht 2019 Höhepunkt“ – so die APA am 12.2.2019.

Bitte seien Sie bei „News“ dieser Art nicht überrascht. Wundern Sie sich vielmehr darüber, dass wir anscheinend nicht in der Lage sind, einen Lehrermangel durch professionelle Planung und rechtzeitige Intervention abzuwenden.

Am Ende des Tages muss wieder eine österreichische Lösung her, die unseren Hang zur Improvisation widerspiegelt. Wenn endlich alle praktizierenden Lehrpersonen mit Stunden vollgestopft sind, müssen Studierende her, die sich eigentlich noch ihrem Studium widmen sollten. Es müssen vielleicht auch Quereinsteiger her, die schon immer einmal mit 30 Menschen in einer Klasse stehen wollten. Vielleicht lassen sich auch noch ein paar andere Willige finden, die parallel zu ihrer Arbeit in der Schule einfach die essentiellsten Pädagogikkurse besuchen.

Ich bin es leid, dass wir die Zukunft unserer Kinder immer wieder aufs Neue dem Schicksal überlassen. Sie scheinen einfach nicht wichtig genug zu sein. Wären sie das, würden wir auf keinen Lehrermangel zusteuern. Stattdessen hätten wir schon längst genügend Menschen in den jeweiligen Fächern ausgebildet, weil wir den Bedarf beobachten und die Lehrerausbildung aktiv steuern.

Außerdem würden wir uns in der Ausbildung auf jene Menschen konzentrieren, die für den Beruf brennen, weil sie darin ihre Berufung sehen. Wir würden uns von den Unbeweglichen und Faulen verabschieden und jene fördern, die neben Kompetenz auch Offenheit, Leidenschaft, Flexibilität, Biss und Herz mitbringen. Wir würden uns nicht mit dem Durchschnitt zufriedengeben, sondern uns nur an den Besten orientieren.

Genau das haben unsere Kinder nämlich verdient. Sie sollen endlich vorwiegend von den Besten begleitet werden; von denen, die als Vorbilder fungieren und deren Handeln nachahmenswert ist. Sie sollen mit Lehrerinnen und Lehrern arbeiten dürfen, die einen gewissen Anspruch an ihre eigene Arbeit stellen und die wertschätzend mit jungen Menschen umgehen.

Man würde sich wundern, wie sich die Sicht auf Schule verändern würde, nicht nur unter den Schülerinnen und Schülern, sondern auch in der Bevölkerung.

Fortbildung: Die andere Seite der Medaille

Innerer Monolog einer Seminarlöwin

Geschafft … 5 Stunden Unterricht, in der großen Pause ein Elterngespräch … bin wieder einmal nicht zum Essen gekommen – vielleicht kann ich ja unterwegs ein Weckerl kaufen … WC muss aber sein – dann geht’s zur Fortbildung an die PH … schade, dass es so gut wie gar keine mehrtägigen Seminare mehr gibt … sicher eine Kostenfrage – oder hat das nicht diese längst schon abgeschasselte Stadtschulratspräsidentin verfügt?

Also fahren wir halt quer durch die Stadt zur PH, da ist man so richtig frisch und aufnahmefähig nach dem Unterricht, halt, ich muss mich noch für morgen für den EDV-Raum eintragen und eine Kollegin fragen, ob sie mit mir tauscht – „Nein Gökhan, jetzt kannst du nicht mehr in die Klasse! – Was, du hast deinen Schlüssel vergessen? Na, warte, ich sperr‘ dir noch einmal auf!“

So, aber jetzt geht’s los. Ich fahr besser öffentlich, weil man in der Gegend der PH ja doch keinen Parkplatz kriegt, ein Kaffee wär jetzt gut … Manchmal frage ich mich, wieso man früher Fortbildungskurse finanzieren konnte, die eine ganze Woche dauerten – ja, Montag bis Freitag, irgendwo in einem abgehalfterten Hotel in der Pampa – und am Anfang beinhart frontal für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ganz hinten haben wir halt getratscht oder auch Karten gespielt … Dann kamen die 90iger und damit eine ganz andere Seminarkultur: Am Montag gab es illustre Kennenlernspiele – an den Haaren herbeigezogen und teilweise reichlich peinlich – man musste sich z. B. vorstellen, ein Gegenstand aus dem Raum zu sein, und dann darüber sprechen – ich kann mich noch genau erinnern, wie ich damit kämpfte, mich als Heizkörper zu sehen … oder irgendwelche Töne lauschen und sagen, wie man sich dabei fühlt … Am Dienstag gab es Gruppenfindung und Themenwahl, am Mittwoch wurde diese wieder umgestoßen, am Donnerstag gab es Streit über die Definition der Aufgabe und am Freitag folgten mehr oder weniger fantasievolle Präsentationen … aber Spaß hat es irgendwie doch gemacht und zur Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen beigetragen … hoppla, jetzt hätte ich fast vergessen, umzusteigen … und da vorne ist ein Standl, da kauf ich mir eine Kleinigkeit und ein Wasser, auf die PH-Mensa kann man sich ja auch nicht verlassen, hoffentlich lässt der Bus nicht allzu lange auf sich warten … und plötzlich gab es die Seminare nicht mehr … nur mehr NACH dem Unterricht und entfallen darf auch nix – da soll man sich ein halbes Jahr vorher anmelden, wenn man den Stundenplan noch gar nicht kennt, und wenn man dann Nachmittagsunterricht hat, darf man nicht fahren … nur mehr ein paar privilegierte Seminare finden in der Dienstzeit statt und natürlich die Leitertage … obwohl Bildungsexperten finden, dass diese 4-stündigen „Kürsli“ gar nicht nachhaltig sind … egal … fängt schon mit dem PH-Online an … ich werde dieses Programm nie durchschauen und finden tu ich auch nix – und warum schreibt es „Warteliste“, wenn man angenommen wurde?

Inhaltliche Seminare für mein Zweitfach werden schon lange nimmer angeboten, das ist schade … angeblich darf das nicht sein, hat uns eine Vortragende gesagt, weil der Fokus derzeit auf Kompetenzen und Methoden gelegt werden muss … Könnte man das nicht vielleicht verbinden? Überhaupt: KOMPETENZEN! STANDARDS! EVALUATION! KOMPETENZORIENTIERT! Das hängt mir schon zum Hals heraus, wenn jedes Seminar mit der Definition von solchen Begriffen beginnt – sicherlich von Weinert, das hab ich schon 1000mal gehört … und dann folgen 60 Powerpoint-Folien, am schrecklichsten 1:1 vorgelesen – angeblich werden die Seminare und Fortbildungen so auch standardisiert – allerdings, wenn ohne Esprit vorgetragen, auch furchtbar fad…

Freilich muss man sich selber auch ein bisserl an der Nase nehmen – immer sind die eigenen Beiträge auch nicht gerade aufregend … wenigstens muss man fast keine Rollenspiele mehr machen, das hab ich früher auch sehr gehasst … aber mitunter wären ein paar eigene Ideen und konstruktive Mitarbeit halt auch hilfreich … so, noch zwei Stationen mit dem Bus, dann hab ich es geschafft … was ich mir auch noch denke, ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr unterschiedliche Vorstellungen von einem Fortbildungsseminar haben: Manche möchten unbedingt fertige „Lösungen“ – das kann ein Seminar aber einfach nicht bieten, zu unterschiedlich ist die Teilnehmerschaft und deren Background, außerdem kann man sich fertige Blatteln genug aus dem Netz holen – jeder kennt doch hier die „einschlägigen“ Seiten … manche wollen sich nur selber reden hören und ihre Probleme schildern, aber das ist wohl eher was für die Supervision … ICH hätte gerne eine/n lustige/n und mitreißende/n Vortragende/n, bei dem man merkt, dass sie/er sich mit dem Hintergrund eines schulischen Problems auseinandergesetzt, aber auch einen Einblick in unsere tägliche Arbeit in der Schule hat, man sollte verschiedene Zugangsweisen zu einem bestimmten Thema erfahren, das ganze spannend und mit Methodenvielfalt dargeboten … und dann würden wir Teilnehmer/innen wohl auch den Spagat zwischen Theorie und Praxis schaffen und motiviert zur Fortbildung gehen … so, jetzt bin ich angekommen – oje, Haus 5, nicht das auch noch – der herbe Charme der 70er – wieso hält die Firma meines Mannes ihre Seminare in schönen Hotels ab … gab es da nicht Untersuchungen, inwiefern die Lernumgebung das Ergebnis beeinflusst?

„Entschuldigung, es tut mir leid, ich bin leider etwas spät … aber ich hatte 5 Stunden Unterricht und musste dann die Öffis nehmen …“

Lesen Sie auch Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung.

Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung

Anleitung zum erfolgreichen Umgang mit der Fortbildung(spflicht)1

Achtung!
Nur weiterlesen, wenn Sie APS-Lehrperson sind, denn für Lehrerinnen und Lehrer an AHS/BHS etc. besteht sowieso keine dezidierte Pflicht zum Nachweis der Teilnahme an Fortbildungs-Lehrveranstaltungen. Sie können sich also in diesem Fall nach dem Abschluss Ihres Studiums und Ihres Probejahrs in Ihrer unterrichtsfreien Zeit anderen Interessen widmen, sofern Ihnen dies Ihre Vernunft und das Lernverhalten Ihrer Schülerinnen und Schüler erlauben.

Für APS-Lehrende besteht eine Fortbildungspflicht von 15 Einheiten pro Schuljahr, theoretisch zumindest. Finden Sie also umgehend heraus, ob Ihre Schulleitung und/oder Ihre Schulaufsicht dies nachfragt und/oder kontrolliert. Wenn nicht, gilt für Sie der letzte Satz aus dem ersten Absatz.

Falls in Ihrer Schule beziehungsweise in Ihrem Bezirk doch Wert auf Fortbildung gelegt wird, – keine Sorge! – bleiben Ihnen noch mehrere Möglichkeiten, diese Pflicht freizeitschonend zu erfüllen:

  1. Melden Sie sich zu möglichst exotisch klingenden, wahrscheinlich unsympathisch erscheinenden und an ungünstigen Terminen geplanten Fortbildungsveranstaltungen an (z. B. „Die Verbesserung der Kompetenzenevaluation in Verbindung mit SQA in Hinblick auf die neue Erlasslage“). Erfahrungsgemäß werden diese wegen zu geringer Teilnehmerzahl abgesagt. Einen zusätzlichen Vorteil können Sie verbuchen, wenn Sie den Beliebtheitsgrad der Vortragenden kennen.
  2. Für Risikofreudige: Melden Sie sich zu möglichst interessant klingenden, wahrscheinlich sympathisch erscheinenden und an günstigen Terminen geplanten Fortbildungsveranstaltungen an („Arbeitsblätter für den * Unterricht“). Vermutlich ist der Kurs überbucht und Sie kommen lediglich auf die Warteliste.
  3. Buchen Sie einen Fortbildungskurs, der Ihrem Freizeitverhalten nicht allzu sehr entgegensteht – „Nordic Walking auf der Donauinsel“, „Stadtspaziergang in der historischen City“, „Kreatives Töpfern“, „Sammeln von Heilkräutern“ oder „Volleyball für Anfänger“ – und verbuchen Sie den Nachmittag als kostenloses Pendant zu Ihrem üblichen Volkshochschulangebot.

Haben Sie sich aber tatsächlich zu einer Fortbildungsveranstaltung angemeldet, die auch stattfindet, müssen Sie immer noch nicht verzweifeln, denn …

  • Sie könnten immer noch auf dem Weg in die Bildungseinrichtung erkranken,
  • Sie könnten kurz nach dem Beginn der Veranstaltung erkranken,
  • Sie könnten kurz vor oder nach dem Beginn der Veranstaltung eine dringende Nachricht eines Verwandten erhalten, dass der Hund entlaufen, die Schwiegermutter erkrankt oder die Installationen des WCs defekt etc. sei/en und dass Ihre sofortige Anwesenheit daheim vonnöten sei, woraufhin Sie die Veranstaltung umgehend verlassen müssten.

In all diesen Fällen sollten Sie Wert auf die Aushändigung einer Teilnahmebestätigung legen beziehungsweise sicherstellen, dass diese auf PHonline für Sie verfügbar ist. Immerhin hatten Sie ja den guten Willen sich fortzubilden.

WENN Sie aber nun wirklich an der Fortbildung teilnehmen müssten,

  • könnten Sie ein wenig am Gang herumtrödeln, Kaffee trinken, rauchen und/oder mit befreundeten Lehrpersonen tratschen, denn schließlich ist der informelle Austausch sehr wichtig,
  • könnten Sie jeglichen innovativen Ansatz der Vortragenden gekonnt mit „Das geht mit unseren Schülerinnen und Schülern nicht!“ oder „Das ist viel zu schwer!“ abschmettern,
  • könnten Sie jegliche Aufforderung, selbst etwas zu erarbeiten, zu erstellen oder zu präsentieren mit der Feststellung „Na, dazu hab ich jetzt gar keine Lust!“, „Ich hab heute schon in der Schule gearbeitet …“ oder „Nicht das auch noch …!“ torpedieren,
  • könnten Sie schließlich die Evaluation der Veranstaltung mit „Nicht genug/zu wenig/zu viel/viel zu viel Praxisbezug“ und/oder „Nicht genug/zu wenig/zu viel/viel zu viel Theorie/Niveau“ kommentieren.

Selbstverständlich sind zu allen Vorschlägen noch kreative Variationen möglich.

Vielleicht denken Sie aber doch ganz anders, wenn Sie in der Klasse stehen und nach Möglichkeiten suchen, Ihren Unterricht innovativer, abwechslungsreicher, motivierender und erfolgreicher zu gestalten. Vielleicht ist es nur das unzureichende und/oder uninteressante Angebot der Fortbildungsinstitutionen, das Sie von effektiver Fortbildung abhält? Die falschen Themen? Oder das schlechte Setting? Die unzulänglichen Locations? Die faden, praxisfernen und/oder abgehobenen Vortragenden? Oder ist es vielleicht zu viel verlangt, theoretische Ansätze und neue Erkenntnisse aus der Bildungsforschung selbständig in die eigene Berufspraxis zu transferieren?

Es ist eine Tatsache, dass sich die Fortbildungsveranstaltungen der verschiedenen Bildungseinrichtungen in den letzten Jahren nicht gerade über einen Ansturm an Fortbildungswilligen freuen durften. Die Gründe dafür sind sicher vielfältig2.

Möglicherweise handelt es sich aber doch um sich gegenseitig verstärkende Einflüsse. Eine Trendumkehr wäre im Sinne aller Beteiligten mehr als wünschenswert, denn ohne Lehrerfortbildung ist Schul- und Unterrichtsentwicklung unmöglich.

Lesen Sie auch Fortbildung: Die andere Seite der Medaille.

 

1 siehe LDG § 29 Abs. 3 „Der Landeslehrer hat um seine berufliche Fortbildung bestrebt zu sein.“ und SchUG § 17 Abs. 1 „Der Lehrer hat in eigenständiger und verantwortlicher Unterrichts- und Erziehungsarbeit die Aufgabe der österreichischen Schule (§ 2 des Schulorganisationsgesetzes) zu erfüllen. In diesem Sinne und entsprechend dem Lehrplan der betreffenden Schulart hat er […] den Lehrstoff des Unterrichtsgegenstandes dem Stand der Wissenschaft entsprechend zu vermitteln[.]
2 Einige davon finden sich im vorliegenden Text, der als Denkanstoß und Diskussionsgrundlage dienen soll.

Kommentar zum Bundesergebnisbericht D4

Es ist eine Frage der Verantwortung

Ein Kommentar anlässlich des Bundesergebnisberichts D4, 2015

Es ist faszinierend, wie die seit einigen Jahren in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Bildungsberichte zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft immer wieder aufs Neue dazu motivieren, ihren vermeintlichen Erkenntnissen auf dem Rücken unserer Kinder freien Lauf zu lassen.

Wenn dann von „katastrophalen Entwicklungen“ oder der Notwendigkeit „revolutionärer Konzepte“ die Rede ist, schütteln halbwegs vernünftige Bürgerinnen und Bürger wohl nur mehr den Kopf. Zu oft schon haben wir gehört oder gelesen, dass unsere Kinder und Jugendlichen Defizite im Lesen, Schreiben, Rechtschreiben oder Rechnen aufweisen. So oft, dass wir derartigen Meldungen aufgrund des Gefühls der Ohnmacht, das wir womöglich über die Jahre entwickelt haben, keinerlei Bedeutung mehr beimessen.

Die Situation scheint ziemlich ausweglos. Hohle Phrasen und leere Versprechungen von Seiten der Entscheidungsträgerinnen und -träger, deren Interesse an der Bildung unserer Kinder genau so lange anhält, bis das letzte Wahlplakat von den Straßenrändern verschwunden ist. Jede langfristige Verpflichtung und ehrliche Bemühung entspricht für Politikerinnen und Politiker eher einem Verlustgeschäft – also wozu auch sollten gerade sie in die Zukunft investieren?

Zudem ist es recht schwierig, sich über Veränderungen und Lösungen Gedanken zu machen, wenn sich die Diskussion stets in der für Österreich so charakteristischen Defizitorientierung verliert. Eine zusätzliche finanzielle Investition wäre eine mögliche Lösung. Im Vergleich zu anderen Ländern lebt Österreich hinsichtlich der Kosten, die das Bildungssystem verursacht, auf recht großem Fuß und dennoch gibt es nur begrenzt Mittel für Dinge, die wirklich von Bedeutung wären. Mehr Unterstützung für sozial benachteiligte Kinder, für Kinder aus zerrütteten Familien, für Kinder mit Leistungsschwächen und für Kinder mit besonderen Bedürfnissen – mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen sowie administrative Kräfte an unseren Schulen, damit sich die Lehrerinnen und Lehrer auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren und unseren Kindern wichtige Inhalte, Fertigkeiten und Fähigkeiten vermitteln können. Darauf zu hoffen oder gar zu warten, scheint – die Entwicklung unseres Schulsystems über die Jahrzehnte hinweg beobachtend – allerdings recht naiv, wenn nicht sogar vergebliche Liebesmüh zu sein.

An dieser Stelle lediglich mit den Schultern zu zucken und schön im gewohnten Takt weiterzumachen, sollte für jeden inakzeptabel sein, der schon einmal ein Kind beobachtet hat, das nicht gut lesen kann. Der gesehen hat, wie sich sein Körper verkrampft, wie der Kopf unaufhörlich vom linken Seitenrand zum rechten wandert und wie es verzweifelt Finger oder Lineal zu Hilfe nimmt, weil es sich anderenfalls ständig in der Zeile irren würde. Der mitansehen musste, wie es sich abmüht, die kürzesten und einfachsten Wörter zu erfassen, und wie es – wenn die Anstrengung schließlich unerträglich wird – den Text, erfüllt von Traurigkeit und Zorn, ablehnend zur Seite schiebt.

Schulischer und persönlicher Erfolg wird dort ermöglicht, wo Eltern und Lehrerinnen und Lehrer eine Partnerschaft eingehen und zu gleichen Maßen Verantwortung übernehmen. Die Lehrerinnen und Lehrer dafür, ihre Schülerinnen und Schüler zu begeistern, zu motivieren und auf ihrem Weg wertschätzend und respektvoll zu begleiten. Und die Eltern dafür, dass ihre Unterstützung ebenso notwendig ist wie die der Lehrerinnen und Lehrer. Eltern, die der Meinung sind, Kindergarten und Schule seien allein für die Bildung ihrer Kinder zuständig, haben noch nicht begriffen, dass sie die wichtigsten Vorbilder im Leben ihrer Kinder – zumindest in den ersten Lebensjahren – sind und dass alles, was sie ihren Kindern vorleben, einen unmittelbaren Einfluss auf deren Entwicklung hat. Daher verwundert es umso mehr, dass sich Eltern beispielsweise bei der Vermittlung diverser Sportarten verhältnismäßig viel Zeit für ihre Kinder nehmen, aber das Lesetraining einzig der Lehrerin überlassen wollen. Wenn wir unseren Kindern Radfahren beibringen, unterstützen wir sie auch so lange, bis sie selbstständig und ohne Probleme fahren, bremsen, auf- und absteigen können. Genauso verhält es sich mit dem Lesen. Wir sollten unsere Kinder so lange dabei unterstützen, bis sie die grundlegenden Lesefertigkeiten erworben haben, die nötig sind, um eigenständig und problemlos verschiedenste Texte und Inhalte erschließen zu können.

Lesen zu lernen ist nicht einfach. Für manche Kinder ist es sogar so mühsam, dass sie mitten am Weg die Lust dazu verlieren. Wer jedoch heutzutage nicht lesen kann, kann leider auch nicht zur Gänze am Bildungsgeschehen oder generell am gesellschaftlichen Geschehen teilnehmen. Ohne die Fähigkeit, gut und flüssig zu lesen, bleiben einem Menschen bestimmte Türen für immer verschlossen.

Erwachsene, die sich bewusst dafür entscheiden, Kinder beim Lesenlernen zu unterstützen, nehmen genau diese Verantwortung wahr. Das gilt für alle, die einen Einfluss auf die schulische Entwicklung eines Kindes haben.

Bettina Wohlgemuth-Fekonja

Der perfekte Lehrer

Nachtrag zu unserem Sommer EDUTalk am 12. 06. 2015. Die perfekte Lehrerin beziehungsweise der perfekte Lehrer aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern.

Der perfekte Lehrer

Wenn ich mir einen Lehrer wünschen dürfte, würde ich mir jemanden wünschen, der mich nimmt, wie ich bin, und nicht versucht, mich zu verändern. Der mich unterstützt, anstatt mich fallen zu lassen. Der mir eine zweite Chance gibt … und, wenn es sein muss, auch eine dritte oder vierte, weil keiner von uns perfekt ist und weil ich immerhin noch ein Kind bin.

Ich würde mir einen Lehrer wünschen, der sich für meine Träume und verrückten Ideen interessiert. Jemanden, der meinen Vornamen weiß, weil ich keine Nummer bin. Jemanden, der in meinen Fehlern eine Möglichkeit sieht. Jemanden, der mir hilft, über mich selbst hinauszuwachsen, anstatt mich hinunterzudrücken. Jemanden, der mich dazu animiert, selbst Probleme für Lösungen zu entwickeln, anstatt die Lösungen anderer wiederzugeben.

Jemanden, der mich ab und zu fragt, wie es mir geht und ob alles in Ordnung ist. Jemanden, der sich für mich einsetzt, anstatt mich aufzugeben. Jemanden, der gemeinsam mit mir lachen kann. Jemanden, der nicht perfekt ist, damit ich nicht den Druck verspüre, ebenfalls perfekt sein zu müssen.

Wenn ich mir einen Lehrer wünschen dürfte, würde ich mir jemanden wünschen, der sich darüber freut, wie ich mich entwickle, und der in mir das sieht, was ich bin – die Zukunft!